Wie auch zur Bundestagswahl 2021 und zur Europawahl 2024 habe ich für die diesjährige Landtagswahl in Sachsen geprüft, wie sich die Parteien zu den Wahl-O-Mat-Fragen positionieren und wie stark sie sich in ihren Antworten ähneln.
Bevor ich auf die Ergebnisse eingehe, kommt auch zur diesjährigen Landtagswahl wieder mein kritischer Hinweis: Ich halte den Wahl-O-Mat für eine tolle Grundlage datenanalytischer Untersuchungen, weil er hohe Nutzerzahlen aufweist, die Fragen im größeren Team entstehen, alle Parteien dieselben Fragen erhalten und sie diese auch selbst beantworten. Das heißt, die Positionierung dürfte recht valide das abbilden, was die Parteien auch ausmacht. Allerdings muss auch klar sein: Bewertet die Ergebnisse nicht über! Mit 38 Fragen und nur drei Antwortoptionen lässt sich die parteipolitische Realität natürlich nicht in Gänze abbilden. Die hier gezeigten Ergebnisse können maximal eine Annäherung an die Realität bzgl. der Wahl-O-Mat-Thesen des jeweiligen Jahres sein.
Folgende Analysen habe ich durchgeführt:
- 1. Thesen-Heatmap: Wie haben die Landtagswahl-Parteien die Wahl-O-Mat-Fragen beantwortet?
- 2. Heatmap der Parteiverwandtschaft: Wie hoch ist die Übereinstimmung zwischen den Parteien in Prozent?
- 3. Netzwerkdiagramme: Interaktive & visuelle Darstellung der Parteienverwandtschaft
- 4. Analyse der Sprachkomplexität: Wie komplex ist die von den Parteien verwendete Sprache in ihren Begründungstexten?
1. Thesen-Heatmap: Positionierungen der Parteien zu den gestellten Fragen
Zunächst einmal habe ich alle Antworten der Parteien in einer Heatmap dargestellt und mathematisch ordnen lassen. In der folgenden Abbildung stehen die Parteien am rechten Rand, darunter die Themen zur diesjährigen Landtagswahl. Der Schnittpunkt von Spalte und Zeile ist eine Zelle, welche durch ihre Färbung die jeweilige Abstimmung zeigt. Die Parteien und Themen wurden durch eine Clusteranalyse sortiert, sodass ähnliche Elemente möglichst nah beieinander stehen.
In der automatisch erzeugten Anordnung erkennt man grob das Parteienspektrum: Die eher rechten Parteien befinden sich unten und die eher linken Parteien oben. Das Muster der farbigen Zellen zeigt, dass die oberen Parteien die ersten Fragestellungen eher ablehnen (orangener Block oben links) und den letzten tendenziell zustimmen (grüner Block oben rechts). Die rechten Parteien verhalten sich entgegengesetzt: Der grüne Block unten links zeigt ihre Zustimmung zu den ersten Thesen, während der orange Block unten rechts ihre homogene Ablehnung der letzten Fragestellungen widerspiegelt.
2. Die Parteienverwandtschaft: prozentuale Ähnlichkeiten zwischen den Parteien
Oben haben wir gesehen, dass es zwischen den Parteien systematische Übereinstimmungen und Differenzen bzgl. gesellschaftlicher Fragestellungen gibt. Doch wie hoch fallen diese genau aus? Hierfür habe ich die prozentuale Übereinstimmung zwischen allen Parteien berechnet und in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Umgesetzt habe ich das im Prinzip so, wie es der Wahl-O-Mat auch zu dieser Landtagswahl wieder macht: Je ähnlicher zwei Parteien eine Frage beantworten, desto mehr Punkte erhält dieses Duo:
Szenario | Punktzahl |
Volle Übereinstimmung (z.B. beide stimmen zu) | 2 |
Teilweise Übereinstimmung (z.B. eine Zustimmung, eine Neutral) | 1 |
Keine Übereinstimmung (z.B. eine Zustimmung, eine Ablehnung) | 0 |
Bei 38 Fragestellungen des Wahl-O-Maten können also maximal 76 Punkte (38*2=76) erzielt werden. 38 Punkte entsprechen einer Übereinstimmung von 50 Prozent. Im Kern wird hier also berechnet, was eine Partei beim Durchführen des Wahl-O-Maten selbst erhalten würde.
Übereinstimmungswerte im Diagramm ablesen
Das Diagramm (siehe unten) stellt nun alle Parteien der x- und y-Achse gegenüber. Der Schnittpunkt zweier Parteien ist eine eingefärbte Zelle. Je größer die Übereinstimmungswerte, desto gelber ist der gemeinsame Schnittpunkt. Beispiel: Die erste Zelle oben links ist der Schnittpunkt zwischen dieBasis und der ÖDP. Hier wird ein Wert von 50% angezeigt. Diese Zelle ist relativ dunkel, weil zwischen diesen Parteien schlicht keine hohe Übereinstimmung zu beobachten ist.
Was ist die Aufgabe des Dendrogramms?
Auf Basis dieser Übereinstimmungswerte führt das System nun eine Clusteranalyse durch. Der Algorithmus bildet dabei Gruppen („Cluster“) von Parteien, die innerhalb der Gruppe möglichst ähnlich und zwischen den Gruppen möglichst unterschiedlich sind – also eine Art Parteiverwandtschaft. Dadurch werden die Parteien im Diagramm so angeordnet, dass ähnliche Parteien möglichst nah beieinander stehen. Das Ergebnis wird zudem als Dendrogramm direkt unter der Diagrammüberschrift dargestellt.
Diese linienartigen Verbindungen zeigen, welche Parteien sich besonders nah sind. Umso ähnlicher Parteien sind, desto näher am Diagrammrand findet die Verbindung statt. Ein gutes Beispiel für eine hohe Ähnlichkeit sind hier die AfD und Freie Sachsen: Mit einer Übereinstimmung von knapp 86 Prozent weisen sie im Dendrogramm eine sehr flache Verbindung auf.1Die Partei (Freie Sachsen) „wurde 2021 gegründet. Sie gilt als Sammelbecken verschiedener rechtsextremistischer Organisationen und Bewegungen mit dem Ziel, die Zersplitterung des Rechtsaußenspektrums zu überwinden. Die FREIEN SACHSEN werden sowohl vom Bundesamt für Verfassungsschutz als auch vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen als rechtsextremistische Partei eingestuft und beobachtet.“ (bpb)
Die Linien lassen sich unter anderem von oben nach unten interpretieren: Im ersten Schritt teilt das System alle Parteien der x-Achse (unten) in zwei Gruppen auf. Sichtbar wird das anhand der schwarzen Linie direkt unter der Überschrift. Alle Parteien von ÖDP bis BSW befinden sich links (rotes + olives Cluster), alle weiteren rechts (grün + violett). Innerhalb dieser beiden Parteigruppen sucht das System nun wieder möglichst ähnliche Parteien und verbindet auch diese wieder mit Linien. So sind bspw. alle Parteien von ÖDP bis DIE LINKE im roten Cluster, wohingegen die BüSo, TIERSCHUTZ hier! sowie dieBasis im letzten – violetten – Cluster landen. Umso ähnlicher Parteien sind, desto näher am Diagrammrand findet die Verbindung statt.
Betrachten wir im Diagramm beispielhaft das Cluster der rot gefärbten Linien: Hier sieht man, dass DIE LINKE, Die PARTEI und die PIRATEN sehr flache Verbindungslinien aufweisen (heißt: nah am Diagramm). Sie sind sich also innerhalb des linken Clusters am ähnlichsten. Später kommt die GRÜNE hinzu, etwas weiter oben die ÖDP. Die Alternative für Deutschland hingegen befindet sich in der grünen Verbindung weiter rechts. Innerhalb dieses Clusters wird die AfD als erstes mit Freie Sachsen und der Werteunion verbunden, weil hier die Ähnlichkeiten einfach am größten sind.
Übergeordnet fällt auf, dass der gesamte Zellbereich oben links recht dunkel erscheint, weil hier rechte und linke Parteien verglichen werden. Umso weiter man in der oberen Bildhälfte nach rechts schaut, desto gelber wird die Fläche. Naja, und das ist auch logisch: Rechte Parteien zeigen hier eben höhere Ähnlichkeiten mit anderen rechten Parteien.
3. Netzwerkgraphen – die Nähe der Parteien im Raum
Bisher wurden die Beziehungen zwischen den Landtagswahl-Parteien lediglich tabellarisch sichtbar. Nun möchte ich sie noch über sogenannte Netzwerkgraphen visualisieren. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine hübsche – im zweidimensionalen Raum dargestellte – Beziehung zwischen Datenpunkten.
Im folgenden Diagramm steht jeder große Punkt für eine Partei. Rundherum befinden sich viele kleine Punkte – diese repräsentieren die 38 Wahl-O-Mat-Thesen. Die Verbindungslinien zeigen auf, welche Partei welcher These zugestimmt hat. Das System ordnet nun auf Basis mathematischer Regeln alle Punkte im Raum so an, dass ähnliche Punkte möglichst nah beieinander liegen. Dabei entsteht folgendes Bild:
Auch hier lässt sich das Parteispektrum einigermaßen gut ablesen. Das Bündel linker Parteien am linken Rand (lila), die konservativ bis rechten Parteien rechts (rot) und die anderen dazwischen. Die linken Parteien stimmen eher der Frauenquote und der Vermögenssteuer zu, wohingegen Themen wie die zunehmende Videoüberwachung oder die Abschaffung der Mietpreisbremse bei den rechten/konservativen Parteien zu finden sind.
Im Gegensatz zum ersten Netzwerk, das allein auf den zugestimmten Thesen basiert, erstelle ich nun ein Netzwerkdiagramm, das auf den prozentualen Übereinstimmungswerten zwischen den Parteien basiert (siehe 2. Parteienverwandtschaft).2Zur Erinnerung: Bei der Beantwortung der Wahl-O-Mat-Thesen zur diesjährigen Landtagswahl haben die AfD und Freie Sachsen eine Übereinstimmung von 85,5 %, die Linke und die Piraten 88,2 % usw. Diese Ergebnisse sind es, welche den Graphen zugrunde liegen. Dabei berücksichtige ich allerdings nur Übereinstimmungswerte von über 60 %, um die stärksten Ähnlichkeiten darzustellen. Die Farben der Punkte entsprechen den Clustern von oben.
Wie erwartet zeigt das Diagramm ein Bündel linker Parteien (inklusive „Bündnis Sarah Wagenknecht“ [BSW]), das nur schwach mit dem rechten/konservativen Parteienbündel verbunden ist. Die Stärke und Farbe der Linien zeigen die Intensität der Verbindungen: Während diese zwischen der AfD und Freie Sachsen also besonders stark sind, lässt sie sich zwischen BSW und DIE LINKE kaum noch erkennen.
4. Wortanzahl & sprachliche Komplexität der Begründungstexte
Wortanzahl
Zusätzlich zur Beantwortung der Wahl-O-Mat-Thesen konnten die Parteien ihre Positionierung mit ausformulierten Texten begründen. Und das machen sie in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Wohingegen die Grünen die meisten Wörter für ihre Begründungen verwenden, steht Die Partei mit nicht einmal 500 Wörtern am Ende der Rangfolge.
Sprachliche Komplexität
Nun kann abschließend geprüft werden, wie lesbar diese Begründungstexte geschrieben wurden. Denn es ist kein Geheimnis, dass die Sprache zur Zielgruppe passen sollte. Wenn 75% der Wahl-O-Mat-Nutzer keinen Hochschul- oder Abiturabschluss haben oder eine Partei eine Wählerschaft mit eher niedrigem Bildungsniveau anzusprechen versucht, dann sollte die Sprache kein Akademikerniveau haben.3Diese Thematik ist besonders bei der Linkspartei immer wieder relevant, die zwar Wähler mit niedrigem Bildungsniveau ansprechen möchte, jedoch oft eine komplexe Sprache verwendet.
Will man also wissen, wie komplex ein geschriebener Text ist, greift man in der Forschung auf sogenannte Lesbarkeitsindizes zurück. Einer davon ist der Flesch-Index. Dieser geht davon aus, dass ein Text umso lesbarer ist, je kürzer die Wörter und Sätze sind. Je höher der Flesch-Wert, desto verständlicher erscheint ein Text. Weil dieser Index auch für deutsche Texte verwendbar ist, habe ich dessen Formel4Flesch-Wert = 180 – (Anzahl aller Worte / Anzahl aller Sätze) – (58,5 * (Anzahl aller Silben / Anzahl aller Worte)) in meinen Code integriert und erhielt folgende Ergebnisse:
Die PARTEI hat von allen hier untersuchten Landtagswahl-Parteien die kürzesten Texte eingereicht (siehe oben) und erzielt zusätzlich den höchsten Flesch-Index-Wert (66,0). Damit erscheinen ihre Begründungstexte am lesbarsten. Die Texte von TIERSCHUTZ hier! sind ähnlich kurz, aber deutlich komplexer (43,8). Am anderen Ende liegt die V-Partei³ mit dem niedrigsten Flesch-Index (36), was auf eine sehr komplexe Sprache hinweist. Insgesamt nutzen fast alle Parteien eine als schwer verständlich eingestufte Sprache, was angesichts der Komplexität politischer Themen verständlich ist, aber dennoch die Frage aufwirft, ob diese Texte nachhaltig bei den Zielpersonen ankommen.